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Brennpunkt: Ganztag gut gestalten. Mehr Qualität von Anfang an.

Der Brennpunkt thematisiert die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab dem 1. August 2026.

© Deutsches Jugendrotkreuz

Ganztag gut gestalten. Mehr Qualität von Anfang an.

 

Die Bedeutung von Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten in der deutschen Bildungslandschaft wird mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab dem 1. August 2026 weiter zunehmen. Um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden, müssen zusätzliche Plätze und Räume geschaffen sowie das Betreuungspersonal weiter aufgestockt und qualifiziert werden. Dafür müssen nach Angaben des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) bis zum Schuljahr 2029/2030 bundesweit etwa 391.000 zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden.

Trotz des kostenintensiven quantitativen Betreuungsausbaus dürfen Investitionen in die Qualität der Angebote nicht vernachlässigt werden – im Interesse der betreuten Kinder, ihrer Eltern und des Betreuungspersonals. Daher stellt der Bund den Ländern für Investitionen in die Bildungsinfrastruktur insgesamt 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Darüber hinaus beteiligt er sich an den laufenden Kosten: In den Jahren 2026 bis 2029 mit insgesamt 2,49 Milliarden Euro und ab 2030 dann mit jährlich 1,3 Milliarden Euro. Die Ganztagsangebote sollten zu einem wichtigen und stabilen Faktor werden, der Kinder unterstützt, psychischen Belastungen entgegenwirkt und Bildungschancen schafft.


DRK & JRK – gemeinsam engagiert für mehr Qualität im Ganztag

 

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und sein eigenverantwortlicher Jugendverband das Deutsche Jugendrotkreuz (JRK) sind bundesweit mit haupt- und ehrenamtlichem Personal in verschiedenen Ganztagsangeboten, z. B. in Horten und Ganztagsgrundschulen – regional unterschiedlich – aktiv. Das DRK als Träger von Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe, das JRK mit starkem ehrenamtlichem Engagement. Neben ihrer praktischen Arbeit engagieren sich DRK und JRK politisch für die qualitative Weiterentwicklung des Ganztags. Dazu wurde z. B. eine aktuelle DRK-Blogartikelreihe Countdown – Ganztagsförderungsgesetz 2026 und seitens des JRK das Positionspapier Ganztag 2026 veröffentlicht. Hier werden jeweils Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Ressourcenknappheit und nötige Qualitätssicherung analysiert und Handlungsempfehlungen sowie politische Forderungen u. a. nach klaren, einheitlichen Rahmenbedingungen, finanzieller Ausstattung sowie nach der Qualifizierung und Anerkennung des pädagogischen Personals und des Ehrenamts präsentiert.


Ein zentraler Fokus liegt auf der Sicherstellung von pädagogischer Qualität und einem effizienten Kin-derschutz. Nur wenn die Bedürfnisse von Kindern, Fachkräften und ehrenamtlich Engagierten gleichermaßen berücksichtigt werden, kann sich eine qualitätsstarke Bildungs- und Betreuungsstruktur etablieren.


Die großen Herausforderungen

 

Quantitativer Personalzuwachs vs. fehlende Fachkräfte

Der Personalzuwachs im Ganztagsbereich ist primär quantitativ getrieben: Von 2015 bis 2019 stieg die Zahl der Beschäftigten um 41% (Vgl. Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2023). Doch viele der neuen Kräfte sind nicht ausreichend pädagogisch qualifiziert, während gut ausgebildetes Fachpersonal in besser bezahlte Bereiche abwandert. Laut Daten des Statistischen Bundesamts war im Schuljahr 2022/23 etwa jeden zehnte Lehrkraft ohne anerkannte Lehramtsprüfung tätig (Vgl. www.deutsches-schulportal.de). Tendenz steigend. Die individuelle Förderung von Kindern wird zunehmend von Honorarkräften, Praktikantinnen und Praktikanten sowie von Ehrenamtlichen übernommen, die oft keine fundierte Ausbildung in diesem Bereich haben.

Arbeitsverhältnisse vs. Attraktivität des Berufsfelds

Der schulische Ganztag ist für viele pädagogische Fachkräfte wenig attraktiv: Ungünstige Arbeitszeiten, befristete Verträge, niedrige Wochenstunden und oft prekäre Bezahlung. Während das Personal in der frühen Bildung durchschnittlich 33 Stunden pro Woche arbeitet, sind es in der Kinderbetreuung an Grundschulen nur 23 Stunden. Ursächlich sind in erster Linie die Rahmenbedingungen, die es den Trägern nicht ermöglichen, stabile, reguläre Beschäftigungsverhältnisse in Vollzeit oder vollzeitnah anzubieten. Für Träger bedeutet dies erhebliche Unsicherheiten: Personal kann kaum langfristig gebunden werden, da die Mittelgeber ihre Zuschüsse oft nur kurzfristig vergeben. Ohne stabile Finanzierungsmöglichkeiten und ohne Leistungsverträge, die entsprechende Spielräume lassen, sind Planungssicherheit und nachhaltige Qualitätssicherung schwer umzusetzen.

„Die Finanzierung der Mittags- und Nachmittagsbetreuungsangebote setzt sich anteilig aus Mitteln des Landes (Hessisches Sozialministerium), des Landkreises, der Kommune und den Elternentgelten zusammen. Über die präzise Verteilung der Landes-Mittel (der Träger erhält davon mind. ¼ - max. ¾) entscheidet alljährlich neu und final die Schule. Da die Mittelvergabe infolgedessen jährlich schwankt, kann der Träger auf keine verlässlichen und perspektivgebenden Strukturen bei der Personalgewinnung zurückgreifen. Im Ergebnis wird die Realisierung einer stabilen Personalplanung (v.a. mit qualifiziertem Fachpersonal) dadurch erheblich erschwert." (Vgl. DRK-Blogbeitrag Countdown – Ganztagsförderungsgesetz 2026: Folge 3)

Arbeitsbedingungen vs. Kinderschutz

Viele Ganztagsangebote leiden unter unzureichenden Betreuungsschlüsseln, unzureichender Definition von Verantwortungsbereichen und fehlenden Qualifizierungsanforderungen. Außerdem fehlen Kapazitäten für immens wichtige Maßnahmen wie z. B. Supervision, kollegialer Austausch.

Besonders problematisch sind die räumlichen Bedingungen: In manchen Einrichtungen werden bspw. 50 Kinder von 1,5 Kräften auf 50 Quadratmetern betreut. Dies erhöht den Lärmpegel, erschwert Rück-zugsmöglichkeiten und fördert psychosoziale Belastungen sowie Konflikte. In solchen Strukturen ist es schwierig, Schutzkonzepte konsequent umzusetzen, was das Risiko für Vernachlässigung oder grenzüberschreitendes Verhalten erhöht. (Vgl. DRK-Blogbeitrag Countdown –Ganztagsförderungsgesetz 2026: Folge 4).


Handlungsempfehlungen zur Qualitätssicherung

 

Aus Sicht von DRK und JRK stellen der Schutz und die individuelle Förderung der betreuten Kinder in den Einrichtungen und Angeboten des Ganztags das prioritäre Leitziel eines Rechtsanspruchs dar. Zur Zielerreichung sind ausreichend qualifiziertes und vorhandenes sowie sicher gebundenes und konstant eingesetztes Personal unerlässlich – aufbauend auf folgenden Handlungsempfehlungen:

Einheitliche Qualifikationsstandards für Ganztagspersonal

Alle im Ganztagsbereich tätigen Personen sollten über grundlegende Kenntnisse in Kinder- und Gewaltschutz, Entwicklungspsychologie, Kommunikation, Gruppenpädagogik und Gesundheitsförderung – explizit für die Bedürfnisse von Grundschulkindern – verfügen. Zudem sind umfassende Fortbildungen u. a. zur Gestaltung von Beteiligungsprozessen und Mitbestimmung dringend notwendig. Besonders nicht-pädagogische Kräfte und Ehrenamtliche benötigen gezielte Schulungen und Schulungsmaterialien (Vgl. DRK-Blogbeitrag Countdown –Ganztagsförderungsgesetz 2026: Folge 5).

Hier ist eine Orientierung an den Standards der frühen Bildung (§ 22 SGB VIII) sinnvoll – im Sinne einer Vorhaltung einer Rahmenkonzeption mit klar definierten Bildungszielen als Grundlage für die Entwicklung eines Curriculums. Je besser die Rahmenbedingungen im Ganztagssetting gesetzt sind, desto besser können die verantwortlichen Ganztags-Akteurinnen und -Akteure vor Ort ihrer Arbeit nachgehen. Deshalb ist ein regelmäßig terminierter, lösungsorientierter Austausch innerhalb der „Träger-Steuerungsgruppe“ (Jugendhilfeträger, Kommune, beteiligte Schule) vor Ort zu aktuell brisanten Fragen besonders wichtig.

Gesetzliche Normierung des Betreuungsschlüssels

Ein bedarfsgerechter und einzuhaltender Betreuungsschlüssel ist notwendig, um Qualität zu gewährleisten. Die Gruppengrößen müssen sich an den heutigen Entwicklungsbedürfnissen von Grundschul-kindern orientieren und bundesweit verbindlich geregelt werden (DRK-Blogbeitrag Countdown – Ganztagsförderungsgesetz 2026: Folge 4).

Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Fachkräftegewinnung und -bindung

Der gesamte soziale Sektor benötigt eine übergreifende Arbeitskräfteoffensive, um mehr Menschen für die sozialen Berufe zu gewinnen. Ein Ansatz ist der Aufbau einer neuen Allianz zur Entwicklung einer umfassenden, ressourcenübergreifenden nationalen Strategie zur Stärkung der SAGE-Berufe (Soziale Arbeit, Gesundheit & Pflege) unter Einbeziehung aller relevanten Akteure. Diese könnte sich an den MINT-Kampagnen orientieren. Nur wenn es gelingt, insgesamt mehr Arbeitskräfte zu gewinnen, kann sichergestellt werden, dass Strategien zur Gewinnung von Arbeitskräften für die Ganztagsbetreuung nicht dazu führen, die Arbeitskräftekrise in angrenzenden Berufsfeldern (z. B. Kitas, Jugendhilfe) weiter zu verschärfen.

Unabhängig davon sind attraktive Arbeitsbedingungen im Ganztagsbereich essenziell, um Fachkräfte zu halten und neue zu gewinnen. Unbefristete Verträge und tarifliche Anpassungen sorgen für mehr Planungssicherheit und schaffen Vertrauen bei den Mitarbeitenden. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, ist es notwendig, langfristige Finanzierungszusagen von Bund und Ländern zu sichern. Das ist für die wirtschaftliche Planbarkeit der Träger zentral. Bessere Arbeitszeiten und flexible Modelle tragen maßgeblich zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Verpflichtende Qualitätssicherungskonzepte für alle Ganztagseinrichtungen gewährleisten eine einheitlich hohe Bildungs- und Betreuungsqualität. Diese Standards schaffen nicht nur Transparenz, sondern auch Vertrauen bei Eltern und Fachkräften.

Durch die Reduzierung von Verwaltungsaufwand für Träger können mehr Mittel direkt in die Betreuung und Bildung der Kinder fließen. Dies entlastet das pädagogische Personal und ermöglicht eine intensivere Betreuung der Kinder. Außerdem spielen kommunale Fachkräfte-Initiativen eine wichtige Rolle bei der gezielten Förderung des Nachwuchses. Durch gezielte Ausbildungsprogramme und Kooperationen mit Bildungseinrichtungen kann der Fachkräftemangel nachhaltig bekämpft werden. Auch das Ehrenamt sollte strukturell anerkannt und durch finanzielle Anreize sowie gezielte Qualifizierungsmaßnahmen gefördert werden. So können engagierte Ehrenamtliche langfristig eingebunden und zusätzliche perso-nelle Ressourcen erschlossen werden. Bspw. sind die Freiwilligendienste ein attraktives und verlässliches Instrument, um ehrenamtliches Engagement im Ganztag zu binden. Auch hier ist eine entsprechende Qualifizierung unerlässlich (Vgl. DRK-Blogbeitrag Countdown – Ganztagsförderungsgesetz 2026: Folge 4).

Partizipation von Kindern und Kinderschutz im Ganztagsangebot stärken

Kinder und Jugendliche sollten in die Gestaltung der Angebote aktiv einbezogen werden. Dies erfordert verbindliche Beteiligungsstrukturen, in denen Kinder und Jugendliche mitentscheiden können und ihre Ideen und Wünsche gehört werden. Um diese Partizipation methodisch und zielgerichtet umzusetzen, sind Fortbildungen für Fachkräfte notwendig. Regelmäßige Evaluationen sind wichtig, um die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen kontinuierlich zu berücksichtigen und die Angebote entsprechend anzu-passen. So wird sichergestellt, dass die Angebote relevant und ansprechend bleiben.

Darüber hinaus sind insbesondere aus Kinderschutzgründen adäquate Räumlichkeiten erforderlich, die sowohl Ruhe- und Rückzugsorte bieten, als auch Platz für kreative Mitgestaltungsmöglichkeiten schaffen. Diese räumlichen Voraussetzungen fördern das Wohlbefinden der Kinder und des pädagogischen Personals im Haupt- und Ehrenamt. Sie sind Grundvoraussetzung für professionelle pädagogische Arbeit, für den Gesundheitserhalt und die -förderung des Personals.

Um den Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben und ihre Anliegen ernst zu nehmen, sollte ein Beteiligungs- und Beschwerdemanagement im Ganztag etabliert werden. Dadurch haben sie die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse und Probleme offen zu kommunizieren und sich aktiv an der Verbesserung der Angebote zu beteiligen.


Fazit – Der qualitative Ausbau des Ganztags ist entscheidend

 

Der Ganztagsausbau muss sowohl quantitativ als auch qualitativ erfolgen. Ohne qualifiziertes Personal, verbindliche Qualitätsstandards und gute Arbeitsbedingungen droht der Rechtsanspruch, der ab 2026 gilt, zur bloßen Betreuungsverwaltung zu verkommen. DRK und JRK setzen sich für ein hochwertiges, kindgerechtes Ganztagsangebot ein, das nachhaltige Bildungs- und Entwicklungschancen für alle Kinder sichert und einen stabilen Kinderschutz gewährleistet. Der Arbeitskräftemangel stellt eine ernsthafte Bedrohung für die erfolgreiche Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetzes dar. Ohne gezielte und effektive Maßnahmen zur Personalgewinnung und -bindung könnten die geplanten Betreuungsangebote nicht im erforderlichen Umfang realisiert werden. Die deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen, etwa durch gezielte Fort- und Weiterbildungsangebote, eine Förderung von Quereinsteigenden in pädagogische Berufe sowie die entsprechende Stärkung des ehrenamtlichen Engagements, sind adäquate Mittel, um dem Mangel entgegenzuwirken.

Der qualitative Ausbau des Ganztags ist zentral, da die individuelle Entwicklungsförderung von Grundschulkindern aktuell immens wichtig ist – v. a. vor dem Hintergrund, dass derzeit die psychischen Erkrankungen von Kindern massiv zunehmen und sich immer mehr Lücken in wesentlichen schulischen Kompetenzbereichen auftun – wovon insbesondere Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringen sozioökonomische Ressourcen oder niedrigem Bildungsstand betroffen sind. Nur ein qualitativ wirksamer Ganztag kann hier Abhilfe schaffen.

 

Alexandra Hepp
DRK-Referentin Jugendsozialarbeit

Sascha Schramm
JRK-Bildungsreferent Schularbeit und Notfalldarstellung

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