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Humanitäre Bildung im Roten Kreuz

In seiner damaligen Funktion als DRK-Präsidiumsmitglied hielt unser ehemaliger Bundesleiter Marcus Janßen am 28. Oktober 2017 die Festrede anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Regionsvereins Hannover. Die Inhalte seiner Rede sind auch heute noch aktuell und bringen unser Themenfeld "Humanitäre Bildung" auf den Punkt.

Unter dem Titel „Humanitäre Bildung im Roten Kreuz“ ging Marcus auf die besondere Verantwortung des Jugendverbandes bei der Vermittlung humanitärer Werte und der Rolle des JRKs als „Pflanzstätte der Rotkreuzkultur“ ein und rief das Rote Kreuz auf, aktiv für Mit-Menschlichkeit einzutreten. Im Rahmen der Veranstaltung verlieh er im Namen des früheren DRK-Präsident Dr. Rudolf Seiters dem langjährigen Bezirksbereitschaftsleiter Michael Meyen das DRK-Ehrenzeichen sowie dem Regionsverband mit seinen 128 Ortsvereinen die Henry-Dunant-Plakette. Diese nahm stellvertretend dessen damaliger Präsident Thomas Decker entgegen.

 

Die Rede von Marcus am 28. Oktober 2017 in Hannover im Wortlaut:

„Auch heute rufe ich Ihnen ein herzliches „Willkommen!“ zu und bin dankbar, feststellen zu können, dass unsere heutige Arbeitstagung wieder ungewöhnlich stark besucht ist.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

meine Eingangsworte sind der erste Satz der Arbeitssitzung des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz über Jugendfragen, welche am 20. Mai 1931 stattgefunden hat. Der Begrüßung folgte damals ein Vortrag über „Die berufliche, geistige und sittliche Not der deutschen Jugend“ – schon damals beschäftigte sich das Rote Kreuz also mit der Jugend, ihren Sorgen, ihren Herausforderungen, aber auch ihren Möglichkeiten – und damit mit der Zukunft der eigenen Organisation, aber auch der Gesellschaft, die damals noch mit „Vaterland“ umschrieben wurde.

Ich habe Ihnen noch weitere Zitate mitgebracht, welche die Jugend und Werte – um die es bei der humanitären Bildung ja geht – zum Thema machen. Manche dieser Zitate sind älteren, manche neueren Datums:

„Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“ - Keilschrifttext, um 2000 v. Chr.

„Die Welt macht schlimme Zeiten durch. Die jungen Leute von heute denken an nichts anderes als an sich selbst. Sie haben keine Ehrfurcht vor ihren Eltern oder dem Alter. Sie sind ungeduldig und unbeherrscht. Sie reden so, als wüssten sie alles, und was wir für weise halten, empfinden sie als Torheit. Und was die Mädchen betrifft, sie sind unbescheiden und unweiblich in ihrer Ausdrucksweise, ihrem Benehmen und ihrer Kleidung.“ - Mönch Peter, 1274

Schlechte Voraussetzungen also, um über die Vermittlung von Werten zu sprechen, aber keine Sorge, spätestens seit dem Jahr 1925 hat das Rote Kreuz in Deutschland die Lösung all dieser Generationenkonflikte gefunden: Mit der Gründung des Jugendrotkreuzes!

Das führt mich zu drei Fragen: Was machen wir als Jugendrotkreuz? Was unterscheidet uns von anderen Jugendverbänden? Was wollen junge Menschen in unseren Reihen?

Marcus Janßen und andere Ehrengäste des Festakts in Hannover

Ich glaube, dass die Antworten auf all diese Fragen „Menschlichkeit“ und „humanitäre Ideale“ sind.

Wir machen genau das: Menschen für das Abenteuer Menschlichkeit zu begeistern. Das haben wir in den vergangenen 150 Jahren getan, das machen wir heute, und das werden wir hoffentlich auch in den kommenden 150 Jahren und darüber hinaus weiter tun. Und das ist humanitäre Bildung!

Elementarer Bestandteil der humanitären Bildungsarbeit, die im Deutschen Roten Kreuz und auch im Jugendrotkreuz in den vergangenen Jahrzehnten geleistet wurde, ist, Menschen jeglichen Alters und jeglicher Herkunft für das Thema Menschlichkeit zu begeistern.

Von der Schlacht in Solferino 1859 bis hin zum 150-jährigen Jubiläum des Deutschen Roten Kreuzes im Jahre 2013 ist vermutlich allen von Ihnen der Werdegang unserer Bewegung hinlänglich bekannt. Die humanitären Ideale, die unserer Idee des Miteinanders zu Grunde liegen, haben nicht nur die Grundsätze geformt und geprägt, sondern bestimmen auch heute noch unsere Arbeit in allen Gemeinschaften und Aufgabenfeldern.

Ein bedeutender Aspekt wird jedoch oft nicht genannt: Henry Dunant war am Tag der Schlacht in Solferino selbst erst 31 Jahre alt. Insbesondere dies sollte uns im Gedächtnis bleiben, wenn wir über die Bedeutung von Bildungsangeboten für junge Menschen reden. Wenn wir es schaffen, sie für Menschlichkeit, für MIT-menschlichkeit und Nichtdiskriminierung, zu begeistern, ist das Alter oft der Faktor, der am wenigsten im Weg steht. Junge Menschen hatten und haben auch heute das große Potential, die Gesellschaft, in der sie leben, positiv zu beeinflussen. Oft ist es besonders das Engagement junger Menschen, das uns näher an eine Gesellschaft der Gewaltfreiheit und des Friedens heranführt.

Abenteuer Menschlichkeit

Das Abenteuer Menschlichkeit bedeutet vor allem, die Sonderstellung des DRK und das Humanitäre Völkerrecht erlebbar zu machen. Gerade in Zeiten, in denen es oft wieder verstärkt darum geht, sich selber „great again“ zu machen, muss es Kern der Rot-Kreuz-Arbeit, insbesondere im Inland, sein, sich einzumischen, eben nicht wegzuschauen und sich stark zu machen für ein menschliches Miteinander, ein Aufeinander-Achtgeben, sich für diejenigen einzusetzen, die unsere Hilfe benötigen. Als Rotes Kreuz dürfen, ja müssen wir damit Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen. Der Grundsatz der Menschlichkeit bedeutet nicht nur, allen Verwundeten zu helfen und akutes menschliches Leid zu lindern, sondern auch gegenseitiges Verständnis, Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Menschen und Völkern zu fördern. Dazu muss sich das Rote Kreuz auch aktiv einmischen – oftmals führe ich die Diskussion, ob es das darf angesichts eines weiteren wichtigen Grundsatzes, dem der Neutralität. Und ja, es darf und es muss – heute vielleicht mehr denn je. Neutralität bedeutet, sich das Vertrauen aller zu bewahren, aber das ist nicht gleichbedeutend mit Sprachlosigkeit.

In diesem Jahr haben wir erstmals das 2008 entwickelte Modul der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften „Youth as Agents of Behavioural Change“ (kurz YABC) nach Deutschland gebracht. Die vielfältigen Methoden in den Bereichen gewaltfreie Kommunikation, soziale Integration und Mitgefühl befähigen die Teilnehmer*innen, sich für eine friedliche und gewaltfreie Gesellschaft einzusetzen. Sie werden bereits in mehr als 120 der 190 Nationalgesellschaften weltweit gelebt und umgesetzt. Unsere Zusammenarbeit als internationale Bewegung, unter anderem im Bereich Verbreitungsarbeit und bei der humanitären Bildung, trägt dazu bei, dass wir eine der bekanntesten Marken der Welt sind – eine, der die Menschen vertrauen.

Wenn wir nun auf das Jugendrotkreuz in Niedersachen und Hannover blicken, dann sehen wir hier eine Geschichte, die ebenso vielfältig ist wie die unseres Gesamtverbandes [...]

Und dass JRK-Arbeit auch als Nachwuchsarbeit für den Gesamtverband unerlässlich ist, zeigt sich, wenn man sich anschaut, wie viele Leitungs- und Führungskräfte auf allen Ebenen des Verbandes, im Hauptamt wie im Ehrenamt ihre Leidenschaft für ihr Engagement im Zeichen der Menschlichkeit im Jugendrotkreuz gelernt haben. Um es mit den Worten unseres Vizepräsidenten, Herrn Dr. Volkmar Schön zu sagen: „Das Jugendrotkreuz ist zwar nicht die Baumschule der Bereitschaften, aber es ist die Pflanzstätte der Rotkreuzgesinnung.“

Humanitäre Bildung inner- und außerhalb des formalen Bildungssystems

Humanitäre Bildung im Roten Kreuz meint also auf der einen Seite die institutionelle klassische Verbreitungsarbeit, mit der wir die Regeln des Humanitären Völkerrechts sowie die Grundsätze des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes vermitteln, auf der anderen Seite aber das, was wir als „informelle Bildung“ bezeichnen – das Lernen beim Spielen, in der Freizeit, im Kontakt mit anderen Menschen oder beim zivilgesellschaftlichen Engagement. Wir lernen ständig, bewusst oder unbewusst – dieses Lernen außerhalb von Klassenzimmern und Seminarräumen sollten wir zukünftig noch mehr nutzen, um Menschen für die Ideale und Werte unserer Bewegung zu motivieren und sich mit unseren Grundsätzen auseinanderzusetzen.

Und so ist die humanitäre Bildung heute wie gestern Kernaufgabe des Roten Kreuzes – und wird das ganz sicher auch morgen sein. Ein Beitrag des Jugendrotkreuzes dazu ist die aktuelle Kampagne: „Was geht mit Menschlichkeit?“ ist die zentrale Frage, die wir uns alle wohl täglich stellen, wenn wir Zeitung lesen oder Nachrichten schauen. International aber auch innerhalb von Europa sowie hier vor Ort bei uns in Deutschland gibt es Spannungen und viele Themen, die angegangen werden müssen. Unser sehr offenes Format der Kampagne lässt jedem den Freiraum, die vielfältigen Dimensionen des Begriffs „Menschlichkeit“ selbst zu erleben und zu füllen, um eigene Projekte dazu zu starten – angefangen beim ICH, über das DU bis zum WIR. Und das ist ein Stück weit auch ein Experiment: Wir überlassen die Deutungshoheit über unseren ersten Grundsatz nicht mehr ausschließlich den Jurist*innen, sondern zum großen Teil den Menschen in unserem Verband. Damit tragen wir, so hoffen wir, die Bedeutung unserer Werte in die Breite und ermöglichen unseren Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die mit ihrer tagtäglichen Arbeit unsere Grundsätze erst in die Tat umsetzen, die Reflexion über die Werte, die uns zusammenhalten.

Gestatten Sie mir, mit einem Zitat von Friedrich dem Großen zu enden, das auch am Schluss der Mitgliederversammlung des Vaterländischen Frauenvereins im Mai 1931 stand: „Das lebhafteste Vergnügen, das ein vernünftiger Mensch in der Welt haben kann, ist, neue Wahrheiten zu entdecken – das nächste nach diesem ist, alte Vorurteile los zu werden.“

 

 


 

Marcus Janßen, von 2013 bis 2021 JRK-Bundesleiter und in dieser Funktion auch Mitglied des DRK-Präsidiums

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